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Heavy Metal in der DDR – diesem Thema widmeten sich gleich zwei Autoren. 2018 Wolf-Georg Zaddach, Musikwissenschaftler, und 2021 Nikolai Okunew, Geschichts- und Sozialwissenschaftler. Grundlage beider Bücher ist eine Dissertation jeweils ein Jahr vor der Veröffentlichung.

Für die Heavy Metal-Szene im DDR-Sozialismus der 1980er-Jahre gibt es interessante Quellen.

Wolf-Georg Zaddach nutzte für sein Buch „Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken“ Songtexte auf Karteikarten, Fan-Briefe, Musik-, Jugend- und Kulturzeitschriften der DDR sowie Akten der „Stasi“, Ministerium für Staatssicherheit. Zahlreiche Zeitzeugen wie die Macher der Kultradiosendung „Tendenz Hard bis Heavy“ sowie diverse Fans und Musiker kommen zu zu Wort.

 

Nikolai Okunew widmete sich dem Thema unter der Prämisse „Red Metal. Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR“, wie er auch sein Buch titelte. Als Quellen dienten vor allem Akten von Polizei und Staatssicherheit. Aber auch Studien zur Erforschung von „negativ-dekadenten Jugendlichen“ aus den 1980er Jahren. Interviews mit Zeitzeugen, Hörerbriefe an das Jugendradio DT64 und Texte der DDR-Metal-Bands ergänzen das Bild der Szene.

 

Wolf-Georg Zaddach sieht den Heavy Metal der 1980er Jahre als eine aktive, vielfältige und in allen Landeteilen der DDR verbreitete Jugendkultur. Das zeigt sich in regelmäßigen Konzerte und Partys, Fanclubs und Bands. Ab 1987 gibt es wöchentlich eigene Radiosendung auf dem staatlichen Jugendsender DT64 „Tendenz Hard bis Heavy“. Das Radio ist so Vermittler und Anbieter von Heavy Metal. der offiziell auf Tonträgern kaum erhältlich ist. In der umfangreichen Hörerpost von Fans aus der DDR, aber auch Westdeutschlands, zeigt sich eine enorme Beliebtheit.

 

Für Nikolai Okunew sind die Heavy-Metal-Fans die vermutlich größte jugendliche Subkultur in der DDR. Zeitlich eingeordnet in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Nach seiner Recherche wendeten sie viel Zeit, Geld und Mühen auf, sich wie Heavys fühlen zu können und sich stets absichtlich, aber nicht immer bewusst, von der sozialistischen Sinnwelt entfernen zu können.

Wie ordnete der Staat den Heavy Metal ein?

Zaddach stellt fest, dass der westliche Heavy Metal seitens des Staates in der ersten Hälfte der 1980er Jahre politisiert und kriminalisiert wurde. In der Zeit des Kalten Krieges nahm das MfS schon seit den 1960ern aktiv Jugendkulturen in den Blick. Auch der Heavy Metal als „negativ-dekadente Extremgruppe“ galt als feindliche Waffe, um die Jugend zu beeinflussen. IM kamen zum Einsatz, Kleidung wurde konfisziert und Erkennungsmerkmale dokumentiert. Eingestuft wurde die Musik als „Heavy Metal Rock“, d.h. Weiterentwicklung der Rockmusik, was sogar förderlich war. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verblasste das negative und konflikthafte Bild, wie Zaddach anhand der Akten feststellen konnte. Vereinzelt stufte das MfS Heavy Metal als ungefährlich ein. Der Heavy Metal konnte sich dank der Popularität unter den DDR-Jugendlichen integrieren. Das abseits der Parteielite und MfS aus der Gesellschaft heraus.

 

Für Okunew war die Kulturpolitik der DDR nicht in der Lage, die Bedürfnisse der Jugendlichen aufzufangen oder sie in ideologisch in gewünschte Bahnen zu lenken. Das Regime der DDR forderte in den 1980er Jahren, auch im Pop, zurückhaltende Positivität, beherrschten Optimismus und kontrollierte Ausgelassenheit. Der Heavy Metal blieb ein westliches Phänomen und damit Repräsentant einer anderen Welt. Die Kulturwelt des Heavy Metal lies sich deshalb nie vollständig in Kulturpolitik der DDR integrieren, wie Okunew resümiert. Aus den Akten konnte er recherchieren, dass Kulturfunktionäre und Staatssicherheit im Umgang mit Heavy Metal selten in koordinierter Abstimmung handelten.Die Fans und Bands agierten in einem Kontrollsystem, das erschien ihnen zufällig oder willkürlich. Die Partei beharrte formal auf ein Medienmonopol. Andererseits wurden, so Okunew, mit Abspielgeräten, Tonträgern und publikumsorientierten Jugendradio Mittel bereit gestellt, um Monopol zu untergraben

 

Wie sah die Welt der Musiker aus? Auftritte gab es nur mit offizieller Zulassung. Zahlreiche Bands wurden mit dem Amateurstatus, etliche auch als professionell eingestuft. Diese Spielerlaubnis gab mit einer Vorgabe der Gage auch eine finanzielle Sicherheit. Autor Zaddach sieht darin eine staatliche Förderung und eine gewisse handwerkliche Qualitätssicherung des Metal in der DDR. Wie er recherchieren konnte, hatte die überwiegende Mehrheit der Musiker tatsächlich eine fundierte musikalische Ausbildung. Von daher sieht der Autor die Einstufungspraxis weniger als Zensurinstrument. Eher sichert es die Qualität des Musiklebens.

 

Mit den DDR-Bands konnten Fans westlichen Metal als Coversongs hören. Der Mangel an Instrumenten und Technik war ein alltägliches Problem für die Musiker. Der Handel mit westlicher Technik erforderte schon einiges an Ideen. Eigene Songs waren Titeln von Musikern aus dem Westen vorzuziehen. Alltägliche Texte ohne politische Dimension gaben die Chance die Zensur zu umgehen. Erst Ende der 1980er Jahre nahm die kritische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus zu, aber meist auf englisch.

 

Die Gemeinschaft im Kleinen wie im Großen war wichtig, so Zaddach. Das half dem Mangel an offiziell erhältlichen Tonträgern und Kleidung zu umgehen: tauschen, Schwarzmarkt, kreative Lösungen innerhalb der Metal-Szene. Musik hören, Mitschnitt von Radiosendungen, sich austauschen und in Jugendclubs treffen, das war wichtig. Das Radio „Stimme der DDR“ sendete in den Jahren nach 1983 im Programm „vom Band fürs Band“ zunehmend Hard-Rock und Heavy Metal Titel aus dem Westen. DT64 „Tendenz Hard bis Heavy“Auch die offiziellen Printmedien widmeten sich dem Thema zunehmend wie „melodie und rhythmus“ und „neues leben“. Wolf-Georg Zaddach verdeutlicht mit einer Grafik (S. 115), wie das Thema Heavy Metal ab 1984 in den Magazinen immer populärer wurde, der Höhepunkt war 1987.

 

Nikolai Okunew erkannte, dass das SED-Regime nicht alle Bereiche des Lebens so steuern konnte, wie es im Sinne der Ideologie vorgesehen war. Aber die Heavys blieben nicht unbeeinflusst von den SED Vorgaben. Sie arragierten sich eher mit Staat, als das sie dessen Abschaffung oder politische Reformen offen forderten, wie Okunew recherchiert hat. Die Anhänger der Szene waren meist Arbeiter, dieser Schicht gewährte Privilegien erleichterten dies. Insgesamt waren sie in ihrer Lebensweise nah an der DDR Bevölkerung dran. Die „popmusikalisch motivierte Abgrenzung zur sozialistischen Sinnwelt“, wie es Okunew nennt, fand vor allem nach Feierabend und am Wochenende statt. Zwischen Heavy und der organisierten Opposition gab es kaum Kontakte. Auch in DDR waren die Inszenierung von Aggressivität, der Rausch und Grenzüberschreitungen Bestandteile des Heavy Metal. Diese Eigenschaften widersprachen dem ästhetisch-emotionalen Regime der DDR.

 

Zaddach stellt nach seiner umfangreichen Analyse fest: „Heavy und Extreme Metal in der DDR war für die Jugendlichen, aber auch im Westen, ein ästhetischer Genuss, emotionaler Halt und körperliches Ausagieren, Gemeinschaft, vorübergehender Lebensinhalt, intellektuelle Anregung, Zeitgeist“. In DDR war diese Musik das Andere, das nur schwer erreichbare, der Westen. Irgendwie war man Teil der internationalen Jugendkultur. Das über die Grenzen hinweg. Aber Heavy Metal steht, so schreibt es der Autor, „auch exemplarisch für die zunehmende Entfremdung und Distanzierung der jüngsten Generationen in der späten DDR.“ Der Heavy Metal der DDR erlebt nach 1990 eine kurze Episode als Neustart im Westen. Aber nahezu alle Bands scheiterten an daran, sich auf freien und unbekannten Markt zu behaupten.

 

Okunew resümiert, dass sich Heavys „kaum in einen einfachen Gegensatz von beherrscht und widerständig, angepasst und unangepasst oder politisch und unpolitisch einordnen“ lassen. Es sei wohl eher eine „ambivalente Mischung aus beiden Seiten“. Weiter stellt er fest: „Heavys wollten sich von Welt des Politischen durch Unterwerfung unter ein selbstgewähltes Regelsystem und eine selbst organisierte Kultur abgrenzen.“ So konnten die Anhänger des Heavy Metal symbolisch aus der DDR aussteigen, ohne offen mit dem Staat zu brechen. Eine erste Reunion von DDR-Heavy-Metal-Bands blieb weitgehend ohne Erfolg. Seit den 2010-er Jahren bestehe wieder Interesse an den DDR Bands.

 

Dr. Wolf-Georg Zaddach, geb. 1985, lehrt Musikwissenschaft und Kultur-/Musikmanagement an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar sowie dem British and Irish Modern Music Institute Berlin (BIMM). Zu seinen Forschungs- und Veröffentlichungsschwerpunkten zählen Heavy Metal, Jazz, Digital Musicology und Musikwirtschaft. Das Buch geht auf eine im Jahr 2017 an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar und der Friedrich-Schiller-Universität Jena abgeschlossenen Dissertation zurück. Gefördert durch Bundesstiftung Aufarbeitung.

 

Dr. Nikolai Okunew, geb. 1987, studierte Geschichts- und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als assoziierter Doktorand am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) promovierte er 2020 an der Universität Potsdam. Sein Buch beruht auf der Dissertation. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZZF im BMBF-Projekt „Das mediale Erbe der DDR“. Gefördert durch Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED Diktatur und Hans-Böckler Stiftung

 

Wolf-Georg Zaddach

Heavy Metal in der DDR

Szene, Akteure, Praktiken, ET Ende 2018, Transcript Verlag Reihe Texte zur populären Musik

 

Dr. Nikolai Okunew

Red Metal

Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR

Erschienen: Dezember 2021

Auflage: 2. Ch. Links Verlag

Erstveröffentlichung: November 2021